Beckelmann Newsletter Oktober 2021

Medizinprodukte-News

Aus PACS wird EuSoMII

Nur wenigen ist bekannt, dass die EuSoMII (European Society of Medical Imaging Informatics) die Nachfolgeorganisation der EuroPACS ist. Mittlerweile geht die Radiologie-IT weit über das PACS hinaus und in der EuSoMII geht es inzwischen um unterschiedliche Themen wie 3-D-Visualisierung und –Druck, Schnittstellen, Workflowsysteme, KI, strukturierte Befundung und NLP.

Seit März 2021 ist Prof. Elmar Kotter, geschäftsführender Oberarzt an der Universitätsklinik Freiburg im Breisgau, auch EuSoMII Präsident. Prof. Kotter sprach mit Guido Gebhardt darüber, welche Themen ihm als EuSoMII-Präsident am Herzen liegen.

Um welche Themen geht es in der EuSoMII?

Das Spektrum der EuSoMII ist deutlich weiter gefasst, als das der EuroPACS und PACS ist auch nicht mehr das zentrale Thema in der Radiologie. PACS funktioniert inzwischen europaweit in Kliniken und Praxen weitgehend problemlos. Es gibt aber eine ganze Menge anderer Themen, die uns heute in den Kliniken beschäftigen. Die künstliche Intelligenz oder die strukturierte Befundung, der 3-D-Druck und 3-D-Lab müssen genauso weiter bearbeitet werden wie die quantitative Radiologie. Das sind Themen, die wichtig sind und die EuSoMII vorantreiben wird.

Die EuSoMII kann man sich als europäischen Counterpart zur AGIT (Arbeitsgemeinschaft-IT in der DRG) vorstellen, nur dass wir eine eigenständige Gesellschaft sind und keine Arbeitsgruppe innerhalb einer Fachorganisation.

Mir geht es darum, den Bekanntheitsgrad der EuSoMII zu steigern und die Präsenz weiter zu erhöhen. Während unser letzter Präsenzkongress 2019 in Valencia von etwa 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht wurde, nahmen am Online-Kongress 2020 bereits mehr als 400 Interessentinnen und Interessenten teil. Das war schon gar nicht so schlecht. Und für dieses Jahr erwarten wir erneut mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Für mich ist die EuSoMII eine hervorragende Gesellschaft. Die Mitglieder verfügen nicht nur über viel Know-how, sondern sind auch engagiert und wollen Dinge voranbringen. Mit etwa 300 Mitgliedern sind wir noch keine große Organisation. Aber die Tendenz ist deutlich steigend und das Wachstum wird sich mit dem Bekanntheitsgrad zukünftig hoffentlich noch weiter beschleunigen.

Wie möchten Sie dieses Wachstum erreichen?

Eines unserer Ziele ist, dass wir uns deutlich breiter aufstellen wollen. Momentan haben wir überproportional viele Mitglieder aus den Beneluxländern und Spanien. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir dort schon Kongresse live durchgeführt haben. Aber speziell in Ost- und Nord-Europa sind wir noch unterrepräsentiert und würden uns wie in Deutschlandüber mehr Mitglieder freuen.

Das Wachstum soll mithilfe einer breit angelegten Diversifizierung realisiert werden. Wir werden uns zum einen in Europa länderübergreifend aufstellen, zum anderen bestehen unsere Mitglieder bislang vorwiegend aus Radiologinnen und Radiologen und Physikerinnen und Physiker. Da die Vernetzung im Gesundheitswesen jedoch ein interdisziplinäres Thema ist, werden wir uns anderen Fachgruppen gegenüber öffnen und uns fachbereichsübergreifend multiprofessionell aufstellen.

Sehr freuen würden wir uns in der EuSoMII über MTRAs bzw. Radiologietechnikerinnen und Radiologietechniker oder Radiographer. Denn deren interessantes Betätigungsfeld und praktische Erfahrung kann sehr zur Weiterentwicklung der Gesellschaft beitragen und ihnen ebenfalls tolle Entwicklungsmöglichkeiten bieten.

Wir gehen davon aus, dass MTRAs ihr Tätigkeitsspektrum zukünftig erweitern und Aufgaben im Bereich „Imaging Informatics“ übernehmen werden. Das kann beispielsweise die Leitung eines Nachbearbeitungslabs sein, da wir bereits jetzt deutlich mehr Post-Processing an den Modalitäten sehen. Es werden Fachkräfte benötigt, die sich nicht nur professionell um die Bildnachbearbeitung, sondern auch um die KI-Algorithmen und das Funktionieren des gesamten Radiologie-Workflows kümmern.

Natürlich wünschen wir uns auch deutlich mehr Frauen in der EuSoMII, um deren Erfahrungen gleichermaßen in der Gesellschaft zu berücksichtigen. Noch gibt es einen Männerüberhang. Das soll ein deutlicher Aufruf für alle Frauen sein, sich in der EuSoMII einzubringen. Ganz nach dem Vorbild von Merel Huismann, die ganz hervorragend unseren Young Club leitet. Seitdem steigt der Frauenanteil unter den jüngeren Mitgliedern bereits an.

Wo sehen Sie in der EuSoMII die Herausforderung in der Radiologie?

Die künstliche Intelligenz kommt immer mehr in der Routine an, das spüren wir deutlich. Es werden immer mehr Algorithmen in der Routine eingeführt. Trotzdem erlebt man noch zu viele Enttäuschungen. Die wahrscheinlich größte Herausforderung in den nächsten Monaten und Jahren wird sein, die zahlreichen KI-Systeme zu validieren, um den Nutzerinnen und Nutzer und den Patientinnen und Patienten mehr Sicherheit zu bieten. Auf das Ergebnis dieser Algorithmen muss man sich einfach verlassen können.


Ich gehe davon aus, dass sich bald unabhängige Validierungsstellen etablieren werden, bei denen Hersteller ihre Algorithmen überprüfen lassen können und dafür eventuell ein Zertifikat bekommen. Wenn gezeigt werden kann, dass die KI-Algorithmen gewissen Qualitätsansprüchen genügen, würde das die Akzeptanz im Markt sicherlich erhöhen, das Angebot transparenter zu machen und zu einer besseren und schnelleren Verbreitung der Algorithmen führen und gleichzeitig natürlich die Risiken minimieren

Wir sind nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gibt es auf vielen Ebenen dies bezüglich bereits Initiativen, wie zum Beispiel im DIN. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich in den nächsten zwei bis drei Jahren viel bewegen wird, um Strukturen für die KI-Validierung aufzubauen.

Eine weitere Herausforderung ist immer noch die Integration von KI in den Workflow. Das kann zum einen auf die harte Tour geschehen, so wie wir es momentan handhaben, indem wir jeden Algorithmus einzeln anpassen. Das ist natürlich sehr aufwendig, da man sich mit jedem einzelnen Algorithmus von den Vertragsverhandlungen über die Datensicherheit bis hin zum Aufruf aus dem System auseinandersetzen muss.

Alternativ gibt es die sogenannten KI-Orchestratoren oder Marktplätze von unterschiedlichen Anbietern. Doch auch da ist noch einiges an Arbeit zu leisten. Es gibt zwar bereits sehr gute Ansätze, aber als Nutzer sehe ich immer noch das Problem, dass die Marktplätze nicht voll umfänglich bestückt sind. Nicht jedes Angebot beinhaltet eine ausreichende Anzahl an Algorithmen, um das gesamte Spektrum sinnvoller Applikationen abzudecken.

Für die Nutzerinnen und Nutzer gibt es bisher leider nur wenig Möglichkeiten, sich zu orientieren. Vielen ist unklar, wie die Systeme überhaupt in den Workflow gelangen, welche technischen Voraussetzungen gegeben sein müssen und wie die Algorithmen installiert werden. Außerdem ist bisher kaum überschaubar, welche Anbieter es gibt und welche Algorithmen sie bereits jetzt zur Verfügung stellen.

„Arbeiten die Systeme on-premise oder gibt es sie nur in der Cloud?“, „Kann ich sie kaufen oder handelt es sich um reine Abomodelle oder Pay-per-Use?“ sind ebenfalls wichtige Fragen, die es zu klären gilt. Meine Kolleginnen und Kollegen in der radiologischen Praxis haben wahrscheinlich gar nicht so viel Zeit, sich um sich um die ganzen Details zu kümmern.

Marktplätze, die nur sieben oder acht Algorithmen anbieten können, sind großen Universitätskliniken nicht gut genug. Wenn ich gerne einen weiteren Algorithmus hätte und die Antwort bekomme „Den haben wir aber nicht im Programm“, würde mich das sicher nicht freuen.

Und wie sieht es mit der strukturierten Befundung aus?

Auch in der strukturierten Befundung ist das Ei des Kolumbus noch nicht gefunden. Neben den bekannten Programmen gibt es heute eine qualitativ hochwertige Auswahl an dedizierten Befundvorlagen. Der Umgang mit allen bisher verfügbaren Systemen verlangt immer noch nach einer extra Runde mit der Maus, um den Befund zusammenzustellen. Für Radiologinnen und Radiologen bedeutet das weiterhin zusätzlichen Aufwand.

Das müssen Sie sich so vorstellen: Meist haben Radiologinnen und Radiologen das Mikro in der linken Hand und in der rechten Hand die Maus, um sich durch die Bilder zu bewegen und gleichzeitig den Befund zu diktieren. Das funktioniert nicht mehr, wenn noch ein drittes System bedient werden muss. Meines Erachtens sollten wir es schaffen, aus der gesprochenen Sprache der Radiologinnen und Radiologen, während der Befund diktiert und gleichzeitig die Bilder analysiert werden, on-the-fly einen strukturierten Befund zu erstellen.

Die Systeme zur Spracherkennung und natürlicher Sprachverarbeitung werden immer besser und es wird eine Frage der Zeit sein, das Problem zu lösen. Dann glaube ich, wird es sehr schnell gehen. Denn dass der strukturierte Befund für alle einen deutlichen Mehrwert bietet, liegt auf der Hand. Siri und Google sind heute schon fantastisch gut. Nachdem Microsoft kürzlich Nuance übernommen hat, gehe ich von einem weiteren positiven Effekt aus.

Wie Sie sehen, gibt es in der EuSoMII zahlreiche Themen – alles gute Gründe, sich zu engagieren. Die Radiologinnen und Radiolgen gehören zu den Innovationstreibern im digitalen Gesundheitswesen. Damit das so bleibt, braucht es ein konstantes Engagement in den Fachgesellschaften.

Der EuSoMII-Jahreskongress 2021 findet am 23. Oktober 2021 erneut online statt.

www.eusomii.org

Prof. Dr. Elmar Kotter

Prof. Dr. Elmar Kotter, geschäftsführender Oberarzt IT & QM in der Klinik für diagnostische und interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Freiburg und seit März 2021 Präsident der European Society for Medical Imaging and Informatics (EuSoMII)